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25. Oktober 2023

Sich klimawandelnde Wassertürme

Gletscherforscherin Francesca Pellicciotti wird neue ISTA-Professorin

Francesca Pellicciottis Liebe zu den Bergen fokussierte ihre Forschung auf Gletscher, Klimawandel und Wassersicherheit. Mithilfe von physikalischen Modellen simuliert sie die Wechselwirkung eines sich erhitzenden Klimas mit Gletschern, Schnee und Wasservorräten. Pellicciotti ist nun Professorin am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und erforscht Megadürren in Europa mit Fördermitteln der EU Water4All Partnership.

ISTA-Professorin Francesca Pellicciotti bei einer Forschungsmission am Gletscher. © Eduardo Soteras

Pellicciottis Leidenschaft für die Berge ist eine Konstante in ihrem Leben. Sie wuchs mit einer Liebe zu den Bergen und ihren Bewohner:innen und einer tiefen Wertschätzung für die Natur auf und verliebte sich in die Idee, in einer solchen Umgebung zu arbeiten. Ihre Feldforschung hat es ihr ermöglicht, weltweit zu forschen und ein tiefes Verständnis des aktuellen Zustands der Gletscher auf der ganzen Welt zu erlangen. Sie nutzt mathematische Modelle und Data Science zur Analyse von Feldforschungs- und Satellitendaten.

Die letzten wachsenden Gletscher

Zu den Gebirgszügen, die Pellicciotti erforscht, gehören das Pamir- und das Karakorum-Gebirge. Dort veranlasste ein ungewöhnlicher Zustand Wissenschafter:innen, die Gebirge als „Pamir-Karakorum-Anomalie“ zu bezeichnen. In dieser zentralasiatischen Region westlich des Himalayas scheinen Hunderte von Gletschern stabil zu sein oder gar zu wachsen, scheinbar unbeeinflusst vom voranschreitenden Klimawandel. „Als ich die Gletscher dort zum ersten Mal sah, konnte ich mir das kaum vorstellen: Es ist der einzige Ort auf der Welt, an dem man vom Boden bis zur Oberfläche des Gletschers gehen kann, ohne eine Seitenmoräne hinunterzusteigen. Die Gletscher dort sind auf einer Ebene mit dem umliegenden Gelände, ein Zeichen für ihren stabilen oder wachsenden Zustand“, sagt sie. Um diese Anomalie zu verstehen, forscht die Wissenschafterin in mehreren Bereichen.

Die Arbeit in solchen Umgebungen ist eine Herausforderung, aber auch eine große Bereicherung. Von forschenden Kolleg:innen umgeben zu sein, Zelte sowie raue Bedingungen über längere Zeit mit ihnen zu teilen und täglich in große Höhen zu wandern, um das Camp zu erreichen, machen laut Pellicciotti den Zauber der Arbeit aus. „Die zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich aus diesem Prozess ergeben, sind unglaublich wertvoll und dauerhaft“, sagt sie, „und ich habe das Privileg, mit einem Team von talentierten jungen Wissenschafter:innen zusammenzuarbeiten, die dieselbe Leidenschaft teilen.“

Auswirkungen der Erderhitzung

„Wir untersuchen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Berge und ihr Wasser. Man vergisst leicht, dass der Nord-, der Süd- und der dritte Pol – die Hindukusch-Karakorum-Himalaya-Kette – empfindlich auf unsere Aktivitäten reagieren. Auch wir sind nicht von den Auswirkungen ausgenommen, die an diesen Orten entstehen. Dies gilt insbesondere in einer stark vernetzten Welt“, sagt sie. Da ihre Forschung sie zwingt, weite Strecken zu reisen, ist es für Pellicciotti von größter Bedeutung, die Resultate zu maximieren und längere Forschungsaufenthalte zu planen. So verbringt sie mehrere Wochen oder Monate in Camps und reist innerhalb Europas nur mit dem Zug. Das ermöglicht den Forscher:innen sicherzustellen, dass ihre Reiseressourcen optimal genutzt werden.

ISTA-Professorin Francesca Pellicciotti (links) bei einer Forschungsmission am Gletscher. © Eduardo Soteras

Koordinierung der internationalen Forschung über Megadürren in Europas Wassertürmen

Mit dem Wechsel ans ISTA startet nun das Projekt „MegaWat – Megadürren in den Wassertürmen Europas – Vom Prozessverständnis zu Strategien für Management und Anpassung“. Es wird von der EU Water4All Partnership gefördert. Vom ISTA aus wird Pellicciotti ein internationales Konsortium von Wissenschafter:innen der ETH Zürich, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), Futurewater SL (Spanien), Universiteit Utrecht (Niederlande) und Consiglio Nazionale delle Ricerche (Italien) koordinieren.

Megadürren sind schwere, mehrere Jahre lange Dürren. Sie traten in den letzten zwei Jahrtausenden auf allen Kontinenten außer der Antarktis auf. Pellicciotti bewegte die seit über zehn Jahren andauernde Megadürre in Chile zu dem Forschungsschwerpunkt. Diese Megadürre führte zur Ausrufung des Notstands, zu dramatischer Wasserknappheit und zu Ernteausfällen. Gleichzeitig markiert die Frequenz der Dürreperioden in Europa in den Jahren 2015, 2018 und 2022 einen Wendepunkt seit mehr als 2000 Jahren. Europa könnte in Zukunft mit immer dramatischeren Dürren konfrontiert sein. Sie möchte darum die Ursachen, Risiken, Auswirkungen und Bewirtschaftungsstrategien von Megadürren in den europäischen Gebirgen – den „Wassertürmen“ – untersuchen.

Anhand von Dürreperioden, die weniger als ein paar Jahre dauern, sieht man, dass Gletscher als Puffer fungieren. Sie liefern das dringend benötigte Schmelzwasser im Sommer. Sonst ist über die Auswirkungen jahrzehntelanger Megadürren wenig bekannt. Jüngste Beobachtungen deuten darauf hin, dass Gletscher nach einigen Dürrejahren ein erhöhtes Wasserdefizit aufweisen. Um diese Wissenslücke zu schließen, werden Pellicciotti und ihr Team am ISTA sowohl vergangene extreme Dürren in Europa als auch die Auswirkungen künftiger Megadürren auf die europäischen Wassertürme am Computer simulieren. Ihr Schwerpunkt liegt dabei nicht nur auf den gut untersuchten Alpen, sondern auch auf einigen der eher vernachlässigten, geologisch älteren Gebirgsregionen Europas. Pellicciotti weiß: „Ältere Gebirge wie die Karpaten und die Pyrenäen haben die Auswirkungen des Klimawandels schon länger zu spüren bekommen. Sie könnten uns eine Geschichte erzählen.“

Vorbereitungen für das Jahr der Gletscher

Zum Internationalen Jahr der Gletscher 2025 wird die UNO eine große Konferenz in Tadschikistan abhalten. „Die nächsten zwei Jahre sind eine sehr spannende, aber auch sehr wichtige Zeit für die Gletscherforschung und ihre zukünftigen Auswirkungen“, sagt Pellicciotti. ISTA ist nun Heimat einer Glaziologin an der Speerspitze der Forschung. „Ich freue mich, Teil des ISTA zu werden: Es bietet Spitzenforschung und Weltklasse-Einrichtungen für meine doch ehrgeizige Forschung, und ich freue mich, die Geowissenschaften hier zu etablieren und das ISTA zu einem Gravitationszentrum und einem Exzellenzpol für diese Forschung zu machen“, so Pellicciotti abschließend.                      

Über Francesca Pellicciotti

Pellicciotti promovierte 2004 an der ETH Zürich in der Schweiz, wo sie als Postdoktorandin und Senior Scientist arbeitete, bis sie 2015 als Associate Professor an der Northumbria University in Newcastle nach Großbritannien wechselte. Im Jahr 2018 kehrte sie mit einem ERC Consolidator Grant in die Schweiz zurück, um als Gruppenleiterin der HIMAL-Gruppe (High Mountain Glaciers and Hydrology) an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (ETH-Bereich) die anomalen Massenverluste asiatischer Hochgebirgsgletscher und Wasserressourcen zu untersuchen.

Projektförderung:

Francesca Pellicciotti erhält im Rahmen der Water4All-Partnerschaft Fördermittel für das von ihr geleitete internationale Projekt „MegaWat“. Der Projektanteil der Pellicciotti Gruppe am ISTA wird vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert.



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